Denkmal Spandauer Straße 68

Der Berliner Senat hat bei dem israelischen Bildhauers Micha Ullman eine weitere Bodenskulptur entwerfen und installieren lassen, 20 Jahre nach der Einweihung von Ullmans Werk "Bibliothek" auf dem Bebelplatz: in unmittelbarer Nähe des historischen Ortes jenes Hauses, in dem die Familie Mendelssohn ihren ersten Berliner Wohnsitz besaß, das aber auch von den Aufklärern Friedrich Nicolai und Gotthold Ephraim Lessing bewohnt worden war.

Angeregt und begleitet wurde dieses Projekt "Haus Mendelssohn", das während seines achtjährigen Entwicklungsprozesses auch "Haus der Hoffnung" und "Haus der Berliner Aufklärung" betitelt worden ist, durch die Mendelssohn-Gesellschaft. Am 250. Hochzeitstag von Moses und Fromet Mendelssohn, dem 22. Juni 2012, war es im Roten Rathaus der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

Das Denkmal wurde im Sommer 2015 fertiggestellt. Der Öffentlichkeit feierlich übergeben wurde das Kunstwerk am 14. Juni 2016. Außer dem Bildhauer Micha Ullman sprachen zu diesem Anlaß der Staatssekretär für Kulturelle Angelegenheiten, Tim Renner, und die Senatsbaudirektorin, Regula Lüscher, sowie der Gründungsdirektor der Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum, Hermann Simon. Der Vorsitzende der Mendelssohn-Gesellschaft, André Schmitz, und Marie von Mendelssohn, eine Nachfahrin des jüdischen Philosophen in der 8. Generation, lasen Texte von Moses Mendelssohn. Die "Drei Kantoren" sangen hebräische Psalm-Texte, das Posaunenensemble "Trombonata" spielte Kompositionen von Felix Mendelssohn Bartholdy. Hier finden Sie die Ansprache Micha Ullmans.

Der Entwurf Micha Ullmans bezieht sich auf ein Gebäude, das vermutlich im 18. Jahrhundert an der Spandauer Straße 68 (seit 1913: Nr. 33) errichtet worden war und über dem Parterre drei Stockwerke besaß. Bevor Moses Mendelssohn und seine Frau Fromet nach ihrer Hochzeit 1762 dort einzogen, hatten zu unterschiedlichen Zeiten die Cousins Lessing und Christlob Mylius sowie der Verleger Friedrich Nicolai, alle drei Publizisten der Aufklärung, die Adresse bewohnt. Mit dem Mendelssohn-Ehepaar und seinen Kindern Brendel, Recha, Joseph, Jette, Abraham und Nathan und weiteren Verwandten lebten auch die aufgeklärten Hauslehrer der Kinder, Hartwig Wessely, Moses Metz Ensheim und Abraham Wolff, in der Spandauer Straße 68.
Zu Lebzeiten Moses Mendelssohns war das Haus ein interkultureller und interreligiöser Treffpunkt für junge und ältere, fortschrittlich vorpreschende und zögerliche Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, für christliche Gelehrte und dichtende Pastorentöchter, für geisteswissenschaftliche Kollegen und besonders für das befreundete "Dreigestirn der Berliner Aufklärung", das Lessing und Nicolai mit dem Hausherrn bildeten.
Auch die erste Adresse der Mendelssohn-Bank befand sich später in diesem Haus, wo Moses Mendelssohn, während er in der Bischofsstraße nebenan (vor dem heutigen Roten Rathaus) als Angestellter einer Seidenmanufaktur arbeitete, Textilgeschäfte auch auf eigene Rechnung betrieben hatte. Seine Frau konnte das Haus Spandauer Straße 68 nach seinem Tod erwerben; sein Sohn Joseph, der Bankgründer, verkaufte es an die befreundeten und angeheirateten Bankiers der Familie Veit.

Das einzige Foto des Hauses vor seinem Abriss und vor der Integration der Parzelle in einen neuen Gebäudekomplex, der mit der Straßenführung der breiten Kaiser-Wilhelm-Straße (heute: Karl-Liebknecht-Straße) entstand, stammt aus dem Jahr 1886. Die über zwei Meter breite marmorne Gedenktafel "In diesem Hause lebte und wirkte Unsterbliches Moses Mendelssohn geb. 1729 in Dessau gest. 1786 in Berlin" ist darauf zu erkennen. Sie ist als einziges Relikt des Gebäudes erhalten und befindet sich seit 2014, seinerzeit zerbrochen und wieder zusammengefügt, als Leihgabe des Centrum Judaicum in der Ausstellung zur Familie Mendelssohn auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof I vor dem Halleschen Tor.

Der Gebäudekomplex an dieser Stelle der Spandauer Straße wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und später abgerissen. Der Bildhauer Ullman hat für seinen Denkmals-Entwurf die auf dem alten Foto des Hauses zu erkennenden Elemente der Fassade - zwölf Fenster, eine Tür und die Gedenktafel - verwendet und Eins zu Eins am historischen Ort auf die Erde geklappt. Die Elemente der Fassade markieren das Trottoir und die Straße wie Schattenrisse und führen, wie man es sehen will, in die Erde hinein oder von unten nach oben heraus.