IST DAS UNIVERSUM ZU REPARIEREN? 1762, im vorletzten Jahr des Siebenjährigen (Welt-)Krieges, an dem alle Großmächte Europas beteiligt waren, schien ein Ende des interkontinentalen Blutvergießens nicht absehbar. Aber der optimistische Berliner Kaufmann und Philosoph Moses Mendelssohn traute sich damals, seine Braut Fromet Gugenheim aus Altona zu heiraten. Im gleichen Jahr baute die Londoner Uhrmacherwerkstatt Joseph Rose & Son ein vergoldetes Chronometer, das später auf uns unbekannten Wegen nach Berlin gelangt ist: Mendelssohns Repoussée-Spindeluhr. Sie dürfte den Geschäftsmann und Publizisten durch manchen Terminstreß gelotst, ihn auch als Metaphysiker inspiriert haben. Die Vorstellung von einer „Weltmaschine“ hatte es in der Antike schon gegeben, mit einer mechanischen Uhr hat man den Kosmos seit dem 14. Jahrhundert verglichen. Den Aufklärer Mendelssohn faszinierte an so einer Uhrwerk-Metapher vor allem das Zusammenwirken verschiedenster kleiner und größerer Partikel – die harmonische Kooperation Aller für das Ganze: „die Einheit der Absicht erfordert Mannigfaltigkeit in den Bestimmungen der Theile“. Anhand seiner von der Forschung bislang unbeachteten Taschenuhr, die nun von einem Fachmann datiert wurde, erschließt sich auch uns diese Faszination – über Fotografien, die bei der Wartung entstanden sind. Weitere Nahaufnahmen und Informationen zu dem komplett handgefertigten, vorindustriellen Werkstück finden Sie am Ende dieses Newsletters und ab Ende April in der Mendelssohn-Remise, bei einer Sonderpräsentation der Spindeluhr zur Feier ihrer Instandsetzung. Die im Innern verborgene Schönheit dieses Apparates, der 1762 zu ticken begann, verweist auf die Kunstfertigkeit und auf das Denken einer vergangenen Epoche. Fotos: Holger Blumensath
„die Uhr des Vaters, Moses Mendelssohn alte Form und Gold 14 rthlr“
lautete der Eintrag im Inventarverzeichnis des Nachlasses von Nathan Mendelssohn. Der 1852 verstorbene jüngste Sohn des Philosophen hatte als Mechanicus Patente zur Pendule-Verbesserung entwickelt und selbst weitere, teurere Uhrenmodelle gesammelt. Die waren seinerzeit schon moderner als Vaters technisch überholte Spindeluhr. Was allerdings Nathans ältesten Sohn, den von Preußens Polizei in den Orient verbannten Arnold Mendelssohn d.Ä. , nicht hinderte, sich doch genau diese altmodische Taschenuhr des Großvaters als Erbstück zu erbitten. Kurz darauf starb der Verbannte als Militärärzt im Krimkrieg, ohne sein Erbe anzutreten; so ist die Uhr schließlich über seinen Bruder und dessen Sohn, den Komponisten Arnold Mendelssohn d.J. (+ 1933), vor 30 Jahren mit einer Nachlaßstiftung an die Mendelssohn-Gesellschaft gelangt.
In der Remisen-Ausstellung sind die drei ehemaligen Besitzer der Taschenuhr bereits vertreten: Moses und Nathan Mendelssohn mit ihren Portraits in der Exkurs-Ecke „Die Religion der Mendelssohns“ sowie der Komponist Arnold Mendelssohn d.J. im Vorraum mit einem Biedermeier-Sekretär aus seinem Besitz. Einem Initiativkreis der Freunde von Mendelssohns Taschenuhr und dem Engagement des Uhrmachermeisters Holger Blumensath ist es nun zu verdanken, daß interessante Fertigungsdetails aus dem Innenleben des historischen Chronometers erstmals ans Licht gekommen sind und die Uhr selbst mit aufregenden Fotos von Konstruktionseinsichten ab dem Monatsende in einer Sonderpräsentation gezeigt werden kann.
Die Spindelherrentaschenuhr mit Repousse'-Übergehäuse in 18 kt ist signiert „Joseph Rose & Sohn London Nr. 6942“, Engl. Halmark London 1762. Das Übergehäuse zeigt im Relief eine antike Szene. Weitere technische Daten: alte Zeiger in Form Louis XV., Emailleblatt, vergoldetes Platinenwerk mit Spindelhemmung, Diamantdeckstein, Viereckpilaster, Antrieb über Kette und Schnecke, Federvorspannung mit Wurmschraube, Spinerlkloben mit filigraner Durchbrucharbeit und Fratzengravur, silberne Regulierscheibe in Schmuckplatine eingelegt. Gewicht: ca. 100g (Gehäuse ca. 55g). Fotos: Holger Blumensath