Dorothea Schlegel

Die Romantikerin
1764
1839

Vater: Moses Mendelssohn

Mutter: Fromet Mendelssohn

Geschwister: Recha, Joseph, Henriette, Abraham und Nathan


So ungestüm und leidenschaftlich wie sie hat keines der Kinder des Aufklärungsphilosophen immer wieder neu den Weg der eigenen Gefühle gesucht, die gelernte Orientierung an der Vernunft relativiert und das eigene Leben dramatisch neu erfunden. Brendel, die Älteste, ist Moses‘ Lieblingstochter. Mutter Fromet passt auf, dass sie gute Briefe schreibt, schön Klavier spielt, französisches Theater versteht. Mit sechzehn heiratet sie Simon Veit, Vaters Geschäftspartner und Freund. Aus dieser arrangierten Bankiers-Ehe flieht sie in Literatursalons und Freundschaftsbünde.

Portraits jener Jahre zeigen sie mal nach jüdischem Brauch mit züchtiger Kopfbedeckung, mal gewagt mit offenem Haar. Sie nennt sich Dorothea (nach Goethes „Hermann und Dorothea“) und empfindet, bei allem Grusel, Verständnis für die Französische Revolution.

Das offene Haar der Bankiersgattin aus jüdischem Haus verweist auf das Aufbruchs-Temperament der Portratierten. Anton Graff, Dorothea Schlegel (damals Brendel Veit), um 1790 © bpk / Nationalgalerie, SMB
Das offene Haar der Bankiersgattin aus jüdischem Haus verweist auf das Aufbruchs-Temperament der Portratierten. Anton Graff, Dorothea Schlegel (damals Brendel Veit), um 1790 © bpk / Nationalgalerie, SMB
Simon Veit, Freund Moses Mendelssohns und erster Ehemann seiner Tochter Brendel. Johanes Veit, Simon Veit, o. J., © Jüdisches Museum Berlin
Simon Veit, Freund Moses Mendelssohns und erster Ehemann seiner Tochter Brendel. Johanes Veit, Simon Veit, o. J., © Jüdisches Museum Berlin

Ihre Begegnung mit dem Kulturphilosophen Friedrich Schlegel, der beider Liebesbeziehung in dem Schlüsselroman „Lucinde“ ungeniert öffentlich ausstellen wird, verändert ihr Leben. Sie verlässt Simon, den Vater ihrer Söhne, bricht mit ihrer entsetzten Familie. Überlegungen, sich mit der verwitweten Mutter doch noch zu vertragen, bleiben unrealisiert. Nach ihrer Scheidung 1799 lebt sie in der Jenaer Frühromantiker-Kommune der Schlegel-Brüder und konvertiert 1804 in Paris zur evangelischen Konfession des Pastorensohns Friedrich, den sie anschließend heiratet. Bei der Taufe, sagt sie, sei ihr Moses Mendelssohn erschienen, eine Vision der Versöhnung. Als Erste der Familie hatte sie das jüdische Vermächtnis des Stammvaters hinter sich gelassen.

Dorothea Schlegel, umgeben von ihrem Sohn, dem Maler Philipp Veit, dessen Gattin Carolina und Enkeln. Zeichnung von Franz Bretano © Privatbesitz
Dorothea Schlegel, umgeben von ihrem Sohn, dem Maler Philipp Veit, dessen Gattin Carolina und Enkeln. Zeichnung von Franz Bretano © Privatbesitz

Ihre Aufbrüche und Wandlungen spiegeln auch die Epochenbrüche zwischen Aufklärung, Idealismus und Romantik, die Umwälzungen vom altem Regime zur Revolutionsemphase, von der Napoleon-Zeit zur Restauration.

Scheidungsurkunde der Eheleute Simon und Brendel von 1799, in Deutsch und Hebräisch, (c) Leo Baeck Institute New York
Scheidungsurkunde der Eheleute Simon und Brendel von 1799, in Deutsch und Hebräisch, (c) Leo Baeck Institute New York

Ihr Roman „Florentin“ (1800) erscheint anonym, herausgegeben von ihrem Mann Friedrich. Als Übersetzerin und Autorin unterstützt sie den genialen Gatten; beim gemeinsamen Übertritt zur Katholischen Kirche, 1808 in Köln, ist dann sie die treibende Kraft. Das große Herz ihres jüdischen Ex-Mannes Simon Veit, dem es nicht leichtfällt, die von Dorothea forcierte Konversion seiner Kinder (1810) zu akzeptieren, erkennt sie erst in ihren späteren Ehejahren mit dem umtriebigen Friedrich Schlegel. In ihren Scheidungsjahren hatte sie noch Simon Veit für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich gemacht, seine weitreichende finanzielle Hilfe zwar angenommen, aber Trennungsvereinbarungen bezüglich der Kindererziehung missachtet. In ihrem letzten Brief an den Ex schreibt sie sich selbst die Verantwortung für das Auseinandergehen zu.

»O Gott woher ist denn meine Fantasie so schwarz geworden? Hatte sie doch sonst keine Farben, als den Purpur der aufgehenden Sonne?«
aus Dorothea Mendelssohns 1801 anonym erschienenem Roman „Florentin“, herausgegeben von Friedrich Schlegl

In Köln hatte das Ehepaar Schlegel noch vergeblich gehofft, von der Kulturpolitik der napoleonischen Besatzer durch eine Anstellung zu profitieren. Zwei Jahrzehnte wohnt Dorothea dann in Wien, wo der mittlerweile nobilitierte Schlegel als Sekretär am Hof des Kaisers von Österreich angestellt wird. In Rom besucht sie ihre Söhne Jonas (Johannes) und Philipp, die Nazarener-Maler. Hier trifft sie auch ihre Freundin aus Berliner Tagen, Henriette Herz, die gerade zum lutherischen Christentum konvertiert ist. Dorotheas romantisches Kunstverständnis verbindet sich mit ihrem missionarischen Katholizismus. Von einer Tochter der Aufklärung hat sie sich glaubensbedingt zur Befürworterin des alten Systems, der Weltordnung unter Papst und Kaiser, verwandelt, ohne dessen Verfallserscheinungen übersehen zu können: Ihre Dekadenz-Eindrücke vom Kirchenstaat kann sie nur schwer verarbeiten.

Johannes Veit, Henriette Herz, o. J. © Privatbesitz / Foto: Reiner Loebe
Johannes Veit, Henriette Herz, o. J. © Privatbesitz / Foto: Reiner Loebe
Franz Gareis, Der Kulturphilosoph Friedrich Schlegel, 1801
Franz Gareis, Der Kulturphilosoph Friedrich Schlegel, 1801

Nach Friedrichs Tod (1829) lebt sie in Frankfurt (Main), wo ihr Sohn Philipp Museumsdirektor ist. Ihre Kontakte mit Juden oder Protestanten in der Familie gewinnen wieder an Herzlichkeit. Sie genießt das Großmutterdasein, die Verbindung mit den Verwandten, zu denen auch ihre jüngere, katholische Schwester Henriette Maria Mendelssohn gehört, und gemeinsame Erinnerung an frühere Tage. Sie hat gelernt, ihre Überzeugung, zur alleinseligmachenden Kirche zu gehören, den Andersgläubigen, die ihr lieb sind, nicht aufzudrängen. Doch nach Berlin, in die Stadt ihres skandalösen Ausbruchs, kehrt sie nie mehr zurück.

1729
1786
Moses Mendelssohn
Der Jude von Berlin
1729
1786
Moses Mendelssohn
Der Jude von Berlin
1737
1812
Fromet Mendelssohn
Die Chefin aus Altona