Dorothea Schlegel
Die RomantikerinVater: Moses Mendelssohn
Mutter: Fromet Mendelssohn
Geschwister: Recha, Joseph, Henriette, Abraham und Nathan
Portraits jener Jahre zeigen sie mal nach jüdischem Brauch mit züchtiger Kopfbedeckung, mal gewagt mit offenem Haar. Sie nennt sich Dorothea (nach Goethes „Hermann und Dorothea“) und empfindet, bei allem Grusel, Verständnis für die Französische Revolution.
Ihre Begegnung mit dem Kulturphilosophen Friedrich Schlegel, der beider Liebesbeziehung in dem Schlüsselroman „Lucinde“ ungeniert öffentlich ausstellen wird, verändert ihr Leben. Sie verlässt Simon, den Vater ihrer Söhne, bricht mit ihrer entsetzten Familie. Überlegungen, sich mit der verwitweten Mutter doch noch zu vertragen, bleiben unrealisiert. Nach ihrer Scheidung 1799 lebt sie in der Jenaer Frühromantiker-Kommune der Schlegel-Brüder und konvertiert 1804 in Paris zur evangelischen Konfession des Pastorensohns Friedrich, den sie anschließend heiratet. Bei der Taufe, sagt sie, sei ihr Moses Mendelssohn erschienen, eine Vision der Versöhnung. Als Erste der Familie hatte sie das jüdische Vermächtnis des Stammvaters hinter sich gelassen.
Ihre Aufbrüche und Wandlungen spiegeln auch die Epochenbrüche zwischen Aufklärung, Idealismus und Romantik, die Umwälzungen vom altem Regime zur Revolutionsemphase, von der Napoleon-Zeit zur Restauration.
Ihr Roman „Florentin“ (1800) erscheint anonym, herausgegeben von ihrem Mann Friedrich. Als Übersetzerin und Autorin unterstützt sie den genialen Gatten; beim gemeinsamen Übertritt zur Katholischen Kirche, 1808 in Köln, ist dann sie die treibende Kraft. Das große Herz ihres jüdischen Ex-Mannes Simon Veit, dem es nicht leichtfällt, die von Dorothea forcierte Konversion seiner Kinder (1810) zu akzeptieren, erkennt sie erst in ihren späteren Ehejahren mit dem umtriebigen Friedrich Schlegel. In ihren Scheidungsjahren hatte sie noch Simon Veit für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich gemacht, seine weitreichende finanzielle Hilfe zwar angenommen, aber Trennungsvereinbarungen bezüglich der Kindererziehung missachtet. In ihrem letzten Brief an den Ex schreibt sie sich selbst die Verantwortung für das Auseinandergehen zu.
In Köln hatte das Ehepaar Schlegel noch vergeblich gehofft, von der Kulturpolitik der napoleonischen Besatzer durch eine Anstellung zu profitieren. Zwei Jahrzehnte wohnt Dorothea dann in Wien, wo der mittlerweile nobilitierte Schlegel als Sekretär am Hof des Kaisers von Österreich angestellt wird. In Rom besucht sie ihre Söhne Jonas (Johannes) und Philipp, die Nazarener-Maler. Hier trifft sie auch ihre Freundin aus Berliner Tagen, Henriette Herz, die gerade zum lutherischen Christentum konvertiert ist. Dorotheas romantisches Kunstverständnis verbindet sich mit ihrem missionarischen Katholizismus. Von einer Tochter der Aufklärung hat sie sich glaubensbedingt zur Befürworterin des alten Systems, der Weltordnung unter Papst und Kaiser, verwandelt, ohne dessen Verfallserscheinungen übersehen zu können: Ihre Dekadenz-Eindrücke vom Kirchenstaat kann sie nur schwer verarbeiten.
Nach Friedrichs Tod (1829) lebt sie in Frankfurt (Main), wo ihr Sohn Philipp Museumsdirektor ist. Ihre Kontakte mit Juden oder Protestanten in der Familie gewinnen wieder an Herzlichkeit. Sie genießt das Großmutterdasein, die Verbindung mit den Verwandten, zu denen auch ihre jüngere, katholische Schwester Henriette Maria Mendelssohn gehört, und gemeinsame Erinnerung an frühere Tage. Sie hat gelernt, ihre Überzeugung, zur alleinseligmachenden Kirche zu gehören, den Andersgläubigen, die ihr lieb sind, nicht aufzudrängen. Doch nach Berlin, in die Stadt ihres skandalösen Ausbruchs, kehrt sie nie mehr zurück.