Arnold Mendelssohn

Der Rebell
1817
1854

Vater: Nathan

Mutter: Henriette

Geschwister: Wilhelm, Ottilie


Die lange Rebellion des schwarzen Schafes der Familie begann im Elternhaus. Sieben Geschwister Arnold Mendelssohns sterben in frühen Jahren. Auf ihn, den Ältesten der drei überlebenden Kinder, richten sich die Hoffnungen der Eltern. Vom 21. Jahrhundert aus gesehen, erscheint er als einer, der in seiner sich rasant verändernden Welt auszog, um unter allen Umständen das herauszufinden und umzusetzen, was ihm als wirklich wichtig erschien.

Sein Vater Nathan – der jüngste Sohn Moses Mendelssohns, ein kreativer Mechanicus – war bei seinen ambitionierten unternehmerischen Initiativen, zuletzt als Hüttenbetreiber in Reinerz, vom Pech verfolgt. Notgedrungen hatte er sich schließlich zur Versorgung seiner Familie mit staatlichen Verwaltungsjobs arrangiert. Arnold, der vielseitig Begabte, sucht der Enge und Strenge daheim zu entrinnen: zuerst als vielversprechender Medizinstudent in Bonn und Berlin, als hoffnungsvoller Doktorand im Berliner Labor des Physiologen Johannes Müller, als sozial engagierter Armenarzt in den Voigtland-Slums vor dem Rosenthaler Tor; schließlich als Philosophiestudent an der Seite seines ihm aus Schlesien bekannten Freundes Ferdinand Lassalle.

Das „Mendelssohn-Haus“ an der Eisenschmelze, die Arnolds Vater Nathan von 1823 bis 1828 betrieb. Postkarte, 1939, Privatbesitz
Das „Mendelssohn-Haus“ an der Eisenschmelze, die Arnolds Vater Nathan von 1823 bis 1828 betrieb. Postkarte, 1939, Privatbesitz
Ferdinand Lassalle, der Begründer der deutschen Sozialdemokratie, um 1870 © DHM
Ferdinand Lassalle, der Begründer der deutschen Sozialdemokratie, um 1870 © DHM

Um mit den reichen WG-Freunden Lassalle und Alexander Oppenheim standesgemäß logieren zu können, pumpt er den Bankier-Onkel Joseph Mendelssohn an. Die Verwandten möchte er dazu überreden, anstelle ihrer Almosen für Bedürftige das Projekt einer Genossenschaftsbank für Arme zu finanzieren. Arnolds Hörigkeit gegenüber dem charismatischen Lassalle verstärkt jedoch ihre Skepsis. Als er 1846 in einem Aachener Hotel gemeinsam mit Alexander Oppenheim zugunsten einer Klientin des Rechtsvertreters Lassalle auf tölpelhafte Weise einen vermeintlichen Dokumentendiebstahl begeht („Kassettenaffaire“), zerbricht seine bürgerliche Existenz. Polizeilich gesucht, flieht Arnold nach Paris, wo er Hilfe bei Heinrich Heine sucht, dem frühen Zionisten Moses Heß begegnet und – inspiriert durch anarchistische Theorien – Pläne zur Schaffung einer Volksbank weiterspinnt. Als die Millionärssöhne Oppenheim und Lassalle in puncto Kassettendiebstahl freigesprochen werden, stellt sich der Flüchtige zuversichtlich den preußischen Behörden. Wird jedoch, kurz vor der 1848er-Revolution in Preußen, zu Zuchthaushaft verurteilt. Sein 14-Seiten-Brief an den Vater endet: „Du selbst bist einer der ersten gewesen, die mich Communist nannten (als Schimpfwort) und hast mir gedroht, Dich unsern Ideen mit Kanonen gegenüberzustellen. Du pflegtest sonst bei dergleichen zu sagen: Er will sein Recht haben, er will totgeschossen sein. Einmal bin ich nun totgeschossen. – Also, seid so gut und laßt mich jetzt aus dem Loch, es soll niemandem leid tun, es getan oder dazu geholfen zu haben“ (22. 4. 1849).

Als Gefangener veröffentlicht Arnold im „Spartacus“ anonym Manifeste über seine „Tauschbank“-Ideen und ein gerechtes Wirtschaftssystem. Interventionen seiner Familie und Alexander von Humboldts sowie eine Bürgerpetition erwirken zunächst keine Freilassung. Schließlich wird ihm zwar die Reststrafe erlassen, er selbst aber aus Europa verbannt.

Anonymer Beitrag Arnolds in der Wochenzeitung „Spartacus “ über die Notwendigkeit eines solidarisch sozialistischen Wirtschaftssytems © Universitäts- und Landesbibliothek Bonn
Anonymer Beitrag Arnolds in der Wochenzeitung „Spartacus “ über die Notwendigkeit eines solidarisch sozialistischen Wirtschaftssytems © Universitäts- und Landesbibliothek Bonn
»Ja, Ihr tragt alle das menschliche Antlitz, Ihr habt aber Löwenklauen, mit denen Ihr Euch gegenseitig die Eingeweide aus dem Leib reißt. Ja, Ihr seid gezwungen, einen Menschen wie mich in einsamer Zelle mit tausendfacher Todespein zu quälen.«
Brief Arnolds vom 8. Juli 1847 aus dem Gefängnis in Köln an die Gräfin Hatzfeldt und Ferdinand Lassalle

Die letzten Lebensjahre ist Arnold Mendelssohn als Flüchtling, Mediziner und Kriegskorrespondent in Südeuropa und im Nahen Osten unterwegs. Aufgrund seiner Kontakte mit ungarischen Revolutionären wird er noch im Habsburger Reich vor Gericht gestellt. Preußische und österreichische Diplomaten verhindern im Osmanischen Reich seine offizielle Anstellung als Arzt. Er schlägt sich als Dorfdoktor durch und als Krankenhausgründer in Jerusalem. Das heute noch als Hospiz für Muslime, Juden und Christen geführte Hospital St. Louis geht auf seine Initiative zurück.

Das heutige „Saint Louis Hospital“ in Jerusalem ist der Nachfolger des von Arnold im Oktober 1851 mitbegründeten Hospitals „St. Ludwig“ für Patienten aller Religionen und Völker. CC BY 2.0 / Foto: Paulina Zet, Vered Hasharon
Das heutige „Saint Louis Hospital“ in Jerusalem ist der Nachfolger des von Arnold im Oktober 1851 mitbegründeten Hospitals „St. Ludwig“ für Patienten aller Religionen und Völker. CC BY 2.0 / Foto: Paulina Zet, Vered Hasharon
Briefumschlag aus Beirut für das Schreiben an den Vater Nathan Mendelssohn vom 20. März 1851 © Mendelssohn-Gesellschaft
Briefumschlag aus Beirut für das Schreiben an den Vater Nathan Mendelssohn vom 20. März 1851 © Mendelssohn-Gesellschaft

Um vom Lateinischen Patriarchen bei seinem Krankenhaus-Projekt unterstützt zu werden, konvertiert der Protestant zur Katholischen Kirche. Aus Jerusalem, aus dem Libanon, aus Syrien und aus dem Krimkrieg schickt Arnold Mendelssohn „Levantische Briefe“ und andere Korrespondenzen an eine geheimnisvolle „Madame“ nach Europa. Berichte über seine interkulturellen Erkenntnisse in Araber-Verkleidung und über osmanische Religionstoleranz, die dem europäischen Reglement überlegen sei, erscheinen in Londoner und Kölner Zeitungen. Der Krimkrieg zerstört die Auswanderungs-Hoffnung auf ein Wiedersehen mit seinem Bruder Wilhelm in Amerika. Als osmanischer Militärarzt für die Armee des Sultans, der viele europäische Revolutionäre in türkischer Uniform dienen, stirbt Arnold Mendelssohn 1854 nah der türkisch-armenischen Grenze an Typhus.

1729
1786
Moses Mendelssohn
Der Jude von Berlin
1874
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Die Frau der Neuen Zeit
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