Philipp Veit
Der SuchendeEr kämpft als deutscher Patriot in den Kriegen gegen Napoleon, legt sich als Museumsdirektor mit den liberalen Kollegen an und hadert mit der Ästhetik und mit dem kritischen Zweifel der Moderne. Als er gegen Ende der Gründerzeit-Dekade in Mainz stirbt, ist ein zweites deutsches Kaiserreich inzwischen gegründet worden, doch unter protestantischen Vorzeichen. All jene Epochen-Umbrüche, die der Suchende in seinen acht Jahrzehnten erlebte, haben Veits Entwicklung stärker verändert als manche seiner frommen Bilder, die vom Ewigen erzählen, vermuten lassen.
Im Alter von fünf Jahren war Feibisch, wie sein jüdischer Name lautete, vom Vater Simon Veit getrennt worden. Er zieht mit seiner Mutter und ihrem Geliebten Friedrich in die Jenaer Frühromantiker-Kommune. Als Zwölfjähriger kehrt er nach Berlin zurück, wie im Scheidungsvertrag abgemacht, der auch bestimmt, daß die Mutter ihre Söhne nicht zum Christentum bekehren darf. Philipp hängt an seinem Vater, zugleich fällt ihm der Abschied von der Mutter und vom Stiefvater Schlegel schwer. Der jüdische Vater soll ihn dann vor der Zeit wieder freigeben, für ein Studium an der Dresdner Kunstakademie. Auch sein älterer Bruder Jonas will Maler werden. Simon Veit, der Bankier, willigt ein. Nun drängt die Mutter ihre Söhne zur Taufe, die 1810 im Wiener Stephansdom stattfindet.
Als Soldat in den Befreiungskriegen befreundet sich Philipp mit dem Dichter Joseph von Eichendorff. Während seiner prägenden römischen Jahre gründet er mit anderen jungen Malern den Lukasbund zur religösen Erneuerung der Kunst. Er und andere Nazarener, wie die Gruppe später genannt wird, malen 1815 bis 1817 für den preußischen Diplomaten Jacob Ludwig Salomon Bartholdy, einen Schwager des Moses-Sohnes Abraham Mendelssohn, den Palazzo Zuccari an der Spanischen Treppe, die „Casa Bartholdy“, mit biblischen Fresken aus. Seine Ambitionen, Priester zu werden, erledigen sich, als Philipp die 13jährige Carolina Pulini heiratet: eine Tochter des Hauses, in dem seine Mutter während ihres Romaufenthaltes wohnt.
Die große Bilderzählung christlicher Heilsgeschichten bleibt sein Thema. Für den Vatikan malt er den „Triumph der Religion“ (1817/18): eine weibliche Figur mit dem Kreuz in der Hand auf römischen Ruinen, zu ihren Füßen Marterwerkzeuge der überwundenen Verfolgung. In der Villa Massimo entstehen (1818–1824) seine Paradies-Fresken zu Dantes „Göttlicher Komödie“. Noch 1847, im Vorjahr der Revolution, wird er für den preußischen König das (unrealisierte) Monumentalfresko „Die Erwartung des Jüngsten Gerichts durch Wilhelm IV. und sein Haus“ entwerfen.
Zu diesem Zeitpunkt hat Philipp mit seiner Haltung gegen den säkularen Zeitgeist bereits demütigende Niederlagen einstecken müssen. In Frankfurt, wo er mit Frau und Kinderschar und seiner verwitweten Mutter Dorothea ab 1830 lebt, war von den Verwaltern des Städel-Instituts, dem er als Direktor vorsteht, ein Auftragswerk, sein Gemälde „Auffindung Mosis“, bei der Abgabe nicht akzeptiert worden; im Zorn zerstört er das Bild. Als 1843 gegenüber Veits programmatischem Triptychon „Die Einführung der Künste durch das Christentum in Deutschland“ eine Ketzer-Würdigung ihren Platz erhält, Carl Lessings Johann Hus im Verhör zu Konstanz, tritt der provozierte Konservative von seinem Amt zurück.
Einerseits zieht Veit in der politischen Aufbruchssituation um 1848 mit Karikaturen und Spottgedichten über den Parlamentarismus her. Andererseits erschafft er für die Frankfurter Paulskirche, wo die Nationalversammlung tagt, eine jugendfrische Germania – 4,82 mal 3,20 Meter groß. Zu ihren Füßen eine gesprengte Handschelle, hinter ihr der Sonnenaufgang einer neuen Zeit. Seine erste Germania aus den Mitte der 1830er Jahren hatte noch, auf einer Seitentafel des Triptychons „Einführung der Künste“, deutlich müder gewirkt: platziert über den Wappen der Kurfürsten vor einer knorrigen Eiche.
Für Philipp Veit ahmt die wahre Kunst zerstörte Natur nicht nach, sondern legt deren Ursprungs-Schönheit offen, zur „Wiederherstellung des göttlichen Ebenbildes“ (Friedrich Schlegel). Während der Stil vieler Nazarener erstarrt, bleibt er als Künstler auf dem Weg, widmet sich intensiver als die Kollegen der Formulierung von Identität im Porträt. Seine Selbstbildnisse spiegeln den jeweiligen Stand seiner künstlerischen Technik und seine Selbstwahrnehmung. Der schwarzlockige Beau um 1816, glimmendes Licht in den Augen, trägt Oberlippenflaum, blickt streng auf den Betrachter. Die Haare des Achtzigjährigen sind weiß, der Schnurrbart überdeckt nun die Oberlippe, der zurückhaltende, prüfende Blick kommt aus dem distanzierten Halbprofil. Konturen und Farbflächen verschwimmen. Die eine Gesichtshälfte liegt im Schatten. Das Kinn ist hart geworden: Der weiß, was er glaubt, und bleibt sich ein Rätsel.